aus: PC Joker 2/94 (Februar 1994)

smalltalk - Ein offenes Gespraech mit: Infocom

    Mit Steve Meretzky hatten wir hier schon einen Vertreter der alten
    Infocom-Garde zu Gast, heute sind es zwei Mitglieder der neuen
    Generation: Eddie Dombrower und William D. Volk verdanken wir den
    Meilenstein "Return to Zork"!

Vor der Pleite im Jahre 1990 produzierte das amerikanische Kultlabel
Textadventures wie z.B. die "Zork"-Reihe, deren fuer damalige
Verhaeltnisse ueberragende Qualitaet die Fans in aller Welt begeisterte.
Seit der Wiederbelebung durch die Konzernmutter Activision bemueht sich
die (bis auf einige freie Mitarbeiter wie Steve Meretzky) komplett
ausgetauschte Belegschaft dagegen um die Verschmelzung von
Abenteuerspiel und Hollywoodfilm. Der erste Schritt in diese Richtung
war Anfang 92 "Leather Goddesses of Phobos 2", vor wenigen Monaten
folgte das noch aufwendiger produzierte "Return to Zork".

Also genuegend Gespraechsstoff fuer unsere Unterhaltung mit dem
36jaehrigen Eddie Dombrower, der bei Infocom als Projektleiter arbeitet.
Eddie ist bereits seit zwoelf Jahren im Geschaeft und entwickelte zuvor
mit seiner eigenen Firma Mirage Graphics u.a. "Earl Weaver Baseball"
fuer Electronic Arts, ausserdem gehen die kindgerechten Lernprogramme
"Manhole" und "Rodney's Funscreen" auf sein Konto. Interviewpartner
Nummer zwei ist William D. Volk; der 37jaehrige bastelte ebenfalls an
"Manhole" mit und kuemmerte sich als technischer Direktor bei
Infocom/Activision z.B. um das Spielsystem von "Return to Zork".

?:  Eddie, wie kam es, dass du die Selbstaendigkeit aufgegegen hast und
    nun fest bei Activision angestellt bist?

ED: Einmal musste ich damals immer staerker den Geschaeftsfuehrer
    spielen, obwohl mir die Taetigkeit als Entwickler viel besser
    liegt; zum anderen brauchst du im heutigen Multimediabereich eine
    Menge Kapital - die kleinen Garagenfirmen von einst haben da
    inzwischen kaum noch eine Chance.

?:  "Return to Zork" sieht man das investierte Geld ja an allen Ecken
    und Enden an, hat sich der finanzielle Aufwand denn auch rentiert?

ED: O ja, wir haben davon schon ueber 200.000 Stueck abgesetzt, und
    erstmals hat sich dabei die CD-Version besser verkauft als die
    abgespeckte Disk-Fassung. Angesichts von 800.000 Dollar
    Entwicklungskosten war der Erfolg aber auch dringend noetig!

?:  Wie sahen eigentlich die "Dreharbeiten" zu diesem interaktiven Film
    aus?

WV: Wir benutzten das sogenannte Rendering-Verfahren. Die Hintergruende
    sind also per 3D-Modelling mit Infini-D auf dem Macintosh
    entstanden, die Schauspieler filmten wir vor dem "Blue Screen",
    anschliessend wurden sie mit den rechnergenerierten Umgebungen
    zusamenkopiert. Haetten wir die ganze Aufnahmecrew zu richtigen
    Locations geschleppt, waeren wir muehelos fuenf bis sieben
    Millionen Dollar losgeworden...

?:  Zur regulaeren CD-Ausfuehrung soll ja noch eine MPEG-Version
    kommen, die dann absolut wie ein Film aussieht - wann ist Premiere?

ED: Wir mussten noch ein paar technische Probleme loesen und uns mit
    den Herstellern der entsprechenden Steckkarten abstimmen, aber Ende
    Februar muesste es soweit sein.

?:  Kommt ihr dabei eigentlich mit einer CD aus, oder sind es zwei wie
    bei den meisten der angekuendigten MPEG-Videos?

ED: Gottlob brauchen Games nicht so viel Platz wie Spielfilme, weil sie
    ja nur zum Teil aus speicherfressenden Animationssequenzen
    bestehen, waehrend die Raetsel da relativ bescheiden sind. Bei der
    Gelegenheit muss ich auch gleich zugeben, dass wir "Leather
    Goddesses of Phobos 2" wohl etwas zu einsteigerfreundlich gemacht
    haben, aber bei "Return to Zork" hat der Schwierigkeitsgrad doch
    gestimmt, oder?

?:  Durchaus, nur den legendaeren Meretzky-Humor haben wir ein klein
    wenig vermisst - ist mit Steve wieder ein Projekt geplant,
    vielleicht der dritte Ausflug zu den Ledergoettinnen?

ED: Erst wollen wir einige der anderen alten Infocom-Titel fortsetzen,
    zunaechst kommt der "Planetfall"-Nachfolger mit dem Titel "The
    Search for Floyd". Dort ist Steve federfuehrend fuer die Story 
    zustaendig, zudem werden wir das filmische Element staerker
    beruecksichtigen.

?:  Was hat man sich darunter vorzustellen?

WV: Nun, nachdem es natuerlich der beste interaktive Film aller Zeiten
    werden soll, verpflichteten wir neben Steve noch Richard Manning
    und Hans Beimler, die schon etliche Drehbuecher zu Star Trek: The
    Next Generation geschrieben haben. Zufrieden?

?:  Klingt lecker! Trotzdem wuerden wir noch gerne erfahren, ob ihr
    auch dabei wieder nahezu vollstaendig auf Screentexte verzichten
    werdet? In Deutschland hatten diesbezueglich viele Leute mit der
    US-Version von "Return to Zork" Verstaendnisschwierigkeiten...

WV: Schade, aber das Nebeneinander von Sprachausgabe und Bildschirmtext
    stoert einfach das Filmgefuehl. Gerade deswegen bemuehen wir uns
    aber auch um Uebersetzungen, die dem Original moeglichst
    gleichwertig sind.

?:  Gehoert dazu bald auch die Synchronisation mit den Lippenbewegungen
    der Darsteller, oder ist das technisch nicht machbar?

WV: Doch, mit sprachgesteuerten Grafiken geht sogar das - wir haben es
    spasseshalber mal mit einer animierten Katze und "Ultima VII"
    ausprobiert, und das Ergebnis sah aeusserst realistisch aus!

?:  Wenn das Lord British zu Ohren kommt! Aber lasst doch mal hoeren,
    was uns nach "Planetfall: The Search for Floyd" erwartet?

ED: Wir sitzen gerade an einem Projekt, das noch konsequenter in
    Richtung interaktiver Film geht, aber das ist dermassen top secret,
    dass mich unser PR-Manager umbringt, wenn ich auch nur ein
    Sterbenswoertchen ueber den Inhalt verliere!

WV: Dafuer kann ich verraten, dass bei Activision momentan an 
    "Shanghai 3: The Great Wall" gearbeitet wird, wo ich fuer die
    Digi-Videosequenzen zustaendig bin. Ausserdem bereiten wir einen
    Cartoon-Titel vor, so eine Art Zeichentrickfilm zum Mitspielen.

?:  Demnach gebt ihr der gezeichneten Grafik nach wie vor eine Chance?

WV: Solange die Qualitaet stimmt, auf alle Faelle. Infocom hat hier in
    den USA z.B. gerade "Simon the Sorcerer" herausgebracht - ein
    ausgezeichnetes Spiel, das von A bis Z handgemalt ist.

?:  Kommen wir schoen langsam zum persoenlichen Teil dieser
    Veranstaltung: habt ihr eigentlich noch Kontakt zu den alten
    Infocom-Designern?

ED: Selbstverstaendlich, allein schon wegen eventueller zukuenftiger
    Projekte. Steve Meretzky wurde vorhin erwaehnt, aber auch mit Marc
    Blank und Michael Berlyn stehen wir in Verbindung.

?:  Eddie, du siehst aus wie ein Mensch mit ungewoehnlichen Hobbies,
    trifft das zu?

ED: Ist Ballettanz ein ungewoehnliches Hobby?

?.: Oeoehh...

ED: Tja, ich habe erst in einem Orchester Cello gespielt, und eine
    Freundin brachte mich dann darauf, weil es mich immer zur Buehne
    hinzog. Deshalb studierte ich am College neben Mathe und Informatik
    auch Choreographie, und fuer den Apple II gibt es dadurch sogar ein
    "Dance Notation System" von mir. Verrueckt, was?

?:  Nicht doch! Hast du daneben auch ganz normale, langweilige
    Durchschnittshobbies anzubieten?

ED: Klar, die Buecher von Stephen King zum Beispiel. Im Kino gibt es
    fuer mich nicht Groesseres als die Star Wars-Trilogie und alte
    Tanzschinken mit Fred Astaire. Auf Namen verzichte ich, da ich bei
    einem Deutschlandbesuch anno 1989 feststellen musste, dass die
    Movies bei Euch alle ganz andere Titel haben.

?:  Was ist dir hier noch aufgefallen?

ED: Na, gerade in Muenchen haben wir eines dieser Weihnachsfeste
    besucht und dann hervorragend gespeist, waehrend im Hintergrund
    eine Blasmusikkapelle spielte - sehr romantisch!

?:  Du meinst wahrscheinlich unseren Christkindlmarkt?

ED: Genau! Danach sind wir nach Berlin, und jeder hat sich ein Stueck
    Mauer geholt - war lustig, all diese Trabis und die uebrigen
    Attraktionen eures Wilden Ostens.

?:  Bill, was stellst du in deiner Freizeit an?

WV: Ich zocke auch privat sehr gern, im Moment begeistert mich das
    Shareware-Spiel "Doom". Ansonsten mag ich Flugis wie "Aces of the
    Pazific", [sic] und weil mir der Realismus sehr wichtig ist,
    benutze ich dafuer immer den Thrustmaster-Stick - immerhin habe
    ich auch schon richtige Flugstunden genommen. Bei "Space Hulk"
    ueberzeugt mich die Mischung aus Action und Strategie, und frueher
    habe ich natuerlich auch die guten alten Infocoms gezockt, vor
    allem "Hitchhiker's Guide to the Galaxy".

?:  Du hast zwei Kinder, laesst du die auch schon an den Computer?

WV: Klar, meine vierjaehrige Tochter durfte "Rodney's Funscreen"
    erproben und beschaeftigt sich ueberhaupt viel mit Edutainment-
    Soft. Mein siebenjaehriger Sohn steht dagegen mehr auf den Game
    Boy.

?:  Und die Ecke Film, Funk und Fernsehen?

WV: Meine Langzeitfavoriten sind da Jaeger des verlorenen Schatzes,
    Spartakus und Casablanca, zuletzt fand ich Terminator 2 und
    Cliffhanger nicht schlecht. Mein Musikgeschmack ist ziemlich bunt
    gemixt: Es kann ohne weiteres passieren, dass ich auf der Fahrt zur
    Arbeit Rap von Doctor Dre hoere, im Buero Frank Sinatra, und auf
    dem Heimweg die Beach Boys oder Van Halen und zu Hause dann
    vielleicht Klassik oder gar Jazz. Selbst Techno gefaellt mir
    manchmal, wie etwa der Soundtrack unseres Super NES-Titels
    "Biometal", den die Teenie-Techniker von 2 Unlimited gemacht haben.
    Dazu lese ich viel, den neuen Cyberpunk-Roman "Snow Crash" von Neil
    Stephensen kann ich nur empfehlen. Ausserdem bin ich ein
    begeisterter Internet-User, besonders wegen der Jaguar-Ecke -
    schliesslich gehore ich zu den stolzen Besitzern von Ataris neuer
    64-Bit-Konsole!

?:  Und wie sind deine bisherigen Erfahrungen, werdet ihr in Zukunft
    auch selbst Games fuer den Jaguar schreiben?

WV: Momentan sind bei mir gerade "Cybermorph" und "Trevor McFur"
    angesagt; man merkt zwar, dass sie mit heisser Nadel gestrickt
    wurden, aber schlecht sind sie deswegen nicht. Eigene Produkte
    haben wir derzeit keine geplant, bloss "Alien vs. Predator" wird
    als Lizenz umgesetzt.

?:  Bill, du bist seit 14 Jahren im Geschaeft, deshalb die
    abschliessende Frage, wie du als alter Hase und Vorreiter der
    CD-Technologie den aktuellen Trend zum CD-ROM einschaetzt?

WV: Ehrlich gesagt, erinnert mich die Situation stark an das "Defender
    of the Crown"-Phaenomen Mitte der Achtziger; dieser Titel hat sich
    ja quasi allein wegen seiner Grafik so gut verkauft. Und ganz
    aehnliches passiert halt zur Zeit auf dem CD-ROM-Sektor, denn es 
    wird jede Menge veroeffentlicht, vieles sieht gut aus, aber das
    meiste davon ist spielerisch einfach schlecht oder nur halbherzig
    gemacht.

?:  Ein offenes Wort und ein aufschlussreiches Gespraech, fuer das wir
    uns hiermit herzlich bedanken!

[Foto mit Unterschrift: "Das komplette Infocom-Team" (eine Frau und 
16 Maenner; ED und WV sind markiert)]

Infocoms Softographie (nach der Wiederauferstehung 1990):
   Leather Goddesses of Phobos 2 (1992)
   Return to Zork (1993)